Ich halte es für wichtig, sich selbst ständig weiterzubilden. Hier eine Auswahl an Büchern, die ich zum Thema «Storytelling» interessant fand:
Erzählende Affen von Samira El Quassil & Friedmann Karig

Warum ich das Buch empfehlen kann:
Geschichten (Narrative/Storys) bestimmen unser Leben. Ob in der Freizeit, im Beruf, ob im Privaten oder in der Gesellschaft. Wir erzählen uns ständig Geschichten über uns selbst, aber auch über andere. Dabei ist uns oft nicht bewusst, welche Narrative uns und die Gesellschaft prägen. Dieses Buch hilft, Narrative besser zu erkennen, sie zu verstehen und selbstkritisch darüber nachzudenken.
Meine Notizen zum Buch:
Warum wir Geschichten erzählen:
Das Prinzip ist simpel: Tote Affen können keine Geschichte erzählen. Derjenige, der zurückkehrt, um von seiner Überlebenskunst zu erzählen, muss irgendetwas richtig gemacht haben. Ihm zuzuhören scheint lohnenswert. Welch genialer Trick, was für eine Wunderwaffe, denn: Wenn es ihm nur einer aus seinem Stamm gleichtut und ebenfalls davon erzählt, bedeutet das, dass der Stamm einen Weg gefunden hat, wie er der natürlichen, brutalen Selektion ein Schnippchen schlagen und sich gefahrloser weiterentwickeln kann.
Aus einem «Sagen, was ist» wurde auf einmal ein «Sagen, was war» und ein «Sagen, was sein könnte». Und irgendwann berichtete man von Dingen, die nicht in oder vor der Höhle existierten und passierten, sondern weit entfernt. Man sprach tatsächlich ungestraft von Säbelzahntigern, die gar nicht da waren, vermutlich um sich schon einmal mental zu wappnen, bevor man ihnen eines Tages wirklich begegnete.
Besonders spannend fand ich das Kapitel zum Thema Klimawandel. Hier meine Notizen:
Die Erfindung des CO2-Fussabdruckes:
Der britische Ölkonzern BP erfand den Ausdruck vom «CO2-Fussabdruck», der jedem Menschen vor Augen führen soll, wie sehr man selbst schuld an der Misere sei. Das Perfide daran: Es stimmt. Jeder von uns emittiert CO2. Der bereits erwähnte Klimaforscher Michael Mann veröffentlichte 2021 ein ganzes Buch über diese narrative Kriegsführung, das zu Recht den Titel Propagandaschlacht ums Klima trägt
Die Verlustaversion im Klimawandel:
Die kurzfristigen Verluste, welche Teile der fossilgetriebenen Wirtschaft, beispielsweise die Automobil- oder Ölbranche, verzeichnen würden, werden als so furchteinflössend dargestellt, dass sie die Zukunft, die wir durch die Rettung der Welt erwirtschaften können, seltsam verzwergen. Ein Grund hierfür ist die von Daniel Kahneman erforschte sogenannte Verlustaversion, die bedingt, dass Menschen in Entscheidungssituationen viel empfindlicher auf Verluste als auf Gewinne reagieren. Ökologie und Ökonomie besonders gefördert. Menschen glauben, dass sie sich für eines von beiden entscheiden müssen.
Wie der Begriff «Klimawandel» entstanden ist:
Die Entstehung des Begriffs »Klimawandel« (englisch ursprünglich: Climate Change) ist eine eigene kleine Geschichte der Desinformation. Der Film Vice – der zweite Mann (2018) erzählt sie als perfide Erfindung der Republikaner um Dick Cheney, die der gefährlichen Klimaerwärmung ein natürlicheres Image verpassen wollten und harmlos klingende Vokabeln in Fokusgruppen testen liessen. Doch es war wohl eher der republikanische Politikberater Frank Luntz, der George W. Bush in einem dokumentierten Memo empfahl, statt »Klimaerwärmung« den natürlicher klingenden »Klimawandel« zu verwenden und so zu tun, als sei sich die Wissenschaft darüber generell uneins. Nachdem ein Waldbrand 2017 beinahe sein Haus in Los Angeles zerstört hätte, widerrief Luntz öffentlich; er setzt sich seitdem für Klimaschutz ein.
Wie wir die Klimageschichte richtig erzählen können:
Diese Erzählung zeigt aber auch sehr gut den narrativen Hebel, den man nutzen könnte, um Menschen von der Wichtigkeit klimapolitischen Handelns zu überzeugen: das Persönlichnehmen. Dazu muss man eine Erzählung finden, die uns die Klimakrise mindestens genau so persönlich nehmen lässt wie vermeintlich unfaire Einschränkungen. Wir müssen von den Einschränkungen für alle von uns erzählen, die eine Klimakatastrophe mit sich bringt. Wir müssen die wahren Antagonisten – raffgierige Konzerne, verantwortungslose Politikerinnen, gekaufte Wissenschaftler – klar benennen und auch ihr Vergehen: Raubbau an unserem gemeinsamen wertvollsten Gut – der Erde. Wir müssen eine mächtige Ingroup schaffen all derjenigen, die die Klimamärchen nicht mehr glauben und stattdessen handfesten Schutz unserer Lebensgrundlagen wollen. Jedes abgeschaltete Kohlekraftwerk, jedes neu gebaute Windrad muss zu einem gefeierten Meilenstein auf der Heldenreise der Vernünftigen werden. Schon der Begriff »Vernunft« muss zurückerobert werden von den Politikern, die faule Kompromisse als vernünftig verkaufen, die das Auto also in der Mitte der Strasse steuern. Gegen diesen destruktiven Nichtangriffspakt zwischen den Antagonisten müssen wir anerzählen mit einer positiven Geschichte von gemeinsamer, friedlicher Veränderung. Erst diese protagonistisch-protestierende Haltung vieler schafft ein mobilisierendes Gefühl von politischer Betroffenheit wie Selbstwirksamkeit – nicht zuletzt, weil man sich dank ihr als Widerständler inszenieren kann. Die Masterplots der Rettung, der Underdogs, der Metamorphose – sie erlauben uns die Erzählung einer fruchtbaren Rebellion: einmal Frodo sein und Held der eigenen Geschichte bleiben.
Der (falsche) Ikarus-Plot in der Klimakrise:
Wir werden verzichten müssen und Dinge werden verboten – der Ikarus-Plot. Den Menschen soll wie einst bei Prometheus das göttliche Feuer wieder weggenommen werden. Oder aber sie sollen wie bei Ikarus ihre Flügel verlieren, die sie zu nahe an die Sonne brachten – sprich: all den Wohlstand, den Komfort, die Technologien verlieren, welche sie sich doch so hart erarbeitet haben. Wenn vermeintliche Verbote und Einschränkungen heraufbeschworen werden, werden der Staat, grüne Politikerinnen werden als Angriff auf die eigene Freiheit und somit als Angriff auf das Selbst empfunden.
Das Argument des Klima-Hedonismus:
Anhänger dieses Narrativs glauben, dass sie sich ihr Dasein irgendwie verdient haben, zum Beispiel durch Arbeit und Fleiss, weshalb das Leben, das sie gegenwärtig führen, nicht falsch sein kann. Es ist eine verkappte (Selbst-)Gerechtigkeitserzählung, die unser Gefühl, uns stünden Ressourcen und Umwelt schlicht zu, auf eine Weise narrativiert, die uns im Destruktiven, im verschwenderischen Held sein lässt.
Notizen zu Gesellschaft und Politik:
Das Märchen der Leistungsgesellschaft:
Der Mythos der Meritokratie besagt, dass ein jeder und jede schon bekomme, was er oder sie qua Leistung verdiene.
Doch die Frage, warum die einen durch die Cola-Flasche reich werden, andere nur von ihr träumen können und manche überhaupt nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, ist viel grösser, als man zunächst glauben mag, denn nur eines ist dem Menschen langfristig noch unerträglicher als Zufall: unerklärliche Ungerechtigkeit.
Der schwierige Begriff Wohlstand:
Schon der beliebte Begriff «Wohlstand» suggeriert als Ein-Wort-Narrativ, dass das Wohl eines Menschen oder einer Gesellschaft direkt und primär von seinem finanziellen Fortkommen abhängig sei. Andere Faktoren – Gesundheit, Gerechtigkeit, Teilhabe, intakte Umwelt – spielen eine untergeordnete Rolle. Und der «Stand» suggeriert eine Stabilität, die eine Wirtschaftsweise, die die Ressourcen der Erde ausbeutet und unwiederbringlich vernichtet, niemals erreichen kann.
Der Trickle-Down-Effekt:
Wenn die Reichen nur genug Geld machen, so hiess es lange, sickert ihr Reichtum langsam, aber sicher zu den Armen durch. Heute wissen wir, dass diese Geschichte vom Trickle-Down-Effekt eine Lüge ist und in Wirklichkeit für immer mehr Menschen immer weniger Sicherheit und damit auch weniger Glück bedeutet. Wir werden also herausgetrennt und wir trennen heraus, erwarten im Gegenzug eine ordentliche Portion Glück – und werden zwangsläufig enttäuscht. Wir leben eine doppelte Entfremdung, die nur in der Erschöpfung münden kann. Was machen unsere inneren Erzählerinnen daraus? Sie suchen nach Belegen, dass ich die Ausnahme bin, dass ich es besser erwische, weil ich es besser verdiene.
Die berühmte »Monopoly-Studie« des Psychologen Paul Piff konnte 2013 zeigen: Wenn zwei Spielern massiv unterschiedliche Regeln auferlegt und sie dadurch transparent ungleich behandelt werden, macht der innere Erzähler des bessergestellten aus »Mir geht es besser« schnell »›Ich bin besser«.
Fazit: Wenn das System nur ungerecht genug ist, reagieren wir nicht mit Rebellion, sondern mit Konfabulation. Wenn es uns schlechter geht, reagieren wir nicht mit Rebellion, sondern mit Zweckoptimismus.
Warum Menschen an Verschwörungen glauben:
Die Sehnsucht nach Gründen ist so stark, dass Kausalität für uns selbst dort gegeben sein muss, wo wir sie nicht logisch herstellen können. Wir halten daher oft auch an Erklärungen fest, die objektiv falsch oder zumindest nicht belegbar sind. Indem wir in Kausalitäten denken und verstehen, dass Wirkungen Ergebnisse von etwas sein müssen, dass also alles einen Ursprung hat, können wir ebendiesen Ursprung idealerweise zu unseren Gunsten beeinflussen, um vorteilhafte Wirkungen zu erzielen – zumindest lassen wir es nicht unversucht. Doch sind wir Menschen nicht gerade für Mässigung bekannt, und so neigen wir dazu, alles und jeden zu ›verkausalisieren‹, um dem Horror Vacui zu entfliehen, der hinter der Erkenntnis lauert, dass vieles, was uns im Leben widerfährt, eben keinen Grund oder gar Sinn hat. Dabei sind wir erstaunlich leicht zufriedenzustellen. Die unerträgliche Zufälligkeit des Seins kann der Mensch weniger gut aushalten als eine falsche, nur halb funktionierende Erklärung.* Wer andernfalls voll Schrecken und Ohnmacht einem Universum unverstandener Naturmächte gegenüberstünde, fantasiert sich lieber Götter und Fabelwesen herbei.
Die Ambiguitätstoleranz:
Ambiguitätstoleranz: die Fähigkeit, unauflösbare Vagheiten, mehrdeutige Informationen, Widersprüche und offene Enden auszuhalten. Andreas Reckwitz stellt in seinem Buch Das Ende der Illusionen fest, es sei «eine Lebensform» gefragt, «die Ambiguitätstoleranz gegenüber dem eigenen Leben entwickelt und einsieht, dass sich der moderne Fortschrittsglauben» – ein Narrativ – «nicht ohne Weiteres auf die Biografie des Einzelnen übertragen lässt». Den Begriff der Ambiguitätstoleranz machte zuletzt der Arabistik-Forscher Thomas Bauer durch seine lesenswerte Gegenwartsanalyse Die Vereindeutigung der Welt (2018) populär. Darin beklagte er, dass in einer sich vereinheitlichenden Wirklichkeit, die von gesellschaftlichem Tribalismus und einer Homogenisierung von Kunst und Kultur geprägt ist, unsere Fähigkeit schwindet, möglichst gelassen auf Mehrdeutigkeiten und Widersprüche zu reagieren.